Ein Einbrecher bricht in ein leeres Haus ein

Extrahiert aus The Zen Teaching of Homeless Kōdō
English version: A Burglar Breaks into an Empty House

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KODO SAWAKI:
Es fragte einmal ein Mönch Meister Longya, “Wie hörte der alte Meister endlich auf zu werken und ließ sich vollkommen nieder?”

Longya antwortete: “Es war wie ein Dieb, der sich in ein leeres Haus stahl.”

Ein Einbrecher bricht in ein leeres Haus ein. Er kann nichts stehlen. Er muss nicht flüchten. Niemand verfolgt ihn. Es ist nichts. Verstehe das: Es ist nichts.

Satori ist wie ein Einbrecher, der in ein leeres Haus einbricht. Obwohl es schwer war hineinzukommen, gibt es nichts zu stehlen. Er muss nicht weglaufen. Niemand ist hinter ihm her. Die ganze Sache ist ein Fehlschlag.

KOSHO UCHIYAMA:
Sawaki Roshi sprach oft von einem Einbrecher, der in ein leeres Haus einbricht. Jemand, der das einmal hörte schrieb, dass Sawaki Roshi gesagt hatte, “Wenn man Zazen übt, dann sollte man es nicht tun wie ein Einbrecher, der in ein leeres Haus einbricht, denn darin liegt kein Gewinn.” Als ich das las, war ich verblüfft. Was für ein unglaubliches Missverständnis. Ich kann mir nicht vorstellen, wie Sawaki Roshi reagieren würde, wenn er am Leben wäre!

Diskussionen über buddhistische Lehren sind ganz anders als gewöhnliche Diskussionen, welche auf gesundem Menschenverstand basieren. Wir müssen aufmerksam einem Lehrer zuhören und die Texte mit ruhigem Geist lesen; ich empfehle es, sie nicht von alleine zu verstehen zu versuchen.

Dieser “Einbrecher, der in ein leeres Haus einbricht” ist Sawaki Roshis Übersetzung von Longyas Spruch, “Es war wie ein Dieb, der in ein leeres Haus schlüpft.” Es ist die Antwort auf die Frage, “Wie können wir uns endlich niederlassen?” oder “Wo ist die wahre Zuflucht in unseren Leben?” Nach all seinen Mühen gelangt der Dieb in ein leeres Haus. Es gibt nichts zu stehlen, er muss vor niemandem davonlaufen. Es gibt nichts als das Selbst, welches nur das Selbst im leeren Haus ist. An dieser Stelle gibt es nichts zu geben oder nehmen, und es gibt keine Beziehung zu anderen. Vielleicht fühlt sich so ein Leben für uns nicht lebenswert an. Aber Satori, der endgültige Ort, an dem man sich in seinem Leben niederlässt, bedeutet, diese grundsätzliche Einstellung anzunehmen: “Das, was mein Leben auslebt, ist nichts als ich selbst.” Satori bedeutet einfach, sich hier und jetzt niederzulassen, wo die Dinge unbefriedigend sind.

SHOHAKU OKUMURA:
Longya Judun (835-923), welcher in Japan als Ryuge Koton bekannt ist, war ein Schüler von Dongshan Liangjie (807-69). Dongshan, welcher in Japan als Tozan Ryokai bekannt ist, war der Gründer des Hauses Caodong, das chinesische Haus, welches Dogen Zenji studierte bevor er die Soto-Schule in Japan gründete. Der alte Meister in der Frage des Mönchs ist Shishuang Qingzhu (807-88), oder Sekiso Keisho auf Japanisch. Shishuang war der Dharma Cousin von Dongshan.

Im Fall 96 im Buch der Gelassenheit meinte Shishuang, “Hör auf, zu tun. Beende die Trennung von Subjekt und Objekt. Sei, wie ein Moment zehntausend Jahre ist. Sei wie kalte Asche und tote Bäume. Sei wie ein Streifen weißer Seide.” Wie kalte Asche und tote Bäume zu sein heißt, ohne Urteilsvermögen zu sein; wie ein Streifen weißer Seide zu sein heißt, ohne Verschmutzung zu sein.

Dieses Koan geht weiter. Nach Shishuangs Tod fragte sein Begleiter den obersten Mönch um die Bedeutung dieses Spruchs. Der Mönch antwortete: “Er erklärt die absolute Einheit.” Der Begleiter war anderer Meinung. Dann starb der oberste Mönch im Zazen. Der Begleiter klopfte ihm auf den Rücken und sagte: “Du verstehst den Sinn des verstorbenen Meisters nicht mal im Traum.”

Später wurde Longya von einem Mönch um die Bedeutung von Shishuangs “Hör auf, zu tun” gefragt. Longya sagte: “Es ist wie ein Dieb, der in ein leeres Haus schlüpft.” Dieser Spruch zeigt, dass Longyas Verständnis ganz anders ist als das des obersten Mönchs. Er versteht unter Aufhören das Aufgeben des Kampfs um den auf unseren Sehnsüchten basierenden Gewinn und das Sichniederlassen hier und jetzt. Für den obersten Mönch ist Aufhören dem Tod gleichgestellt. Das ist ein verbreitetes Missverständnis der buddhistischen Lehre der Leere.

Aber wie Sawaki Roshi und Uchiyama Roshi andeuteten, ist unser Zazen keine Verneinung des Lebens; es ist einfach unser Stillewerden hier und jetzt, ohne der Genugtuung nachzujagen. Laut Uchiyama Roshi ist dies die Einstellung, unsere Leben selbst auszuleben, ohne sich auf andere oder auf bestimmte Dogmen zu verlassen.

Der japanische Haiku Dichter Masaoka Shiki (1867-1902) starb mit fünfunddreißig an Tuberkulose. In seinen letzten Tagen hatte er unerträgliche Schmerzen vom Verfall seiner Wirbelsäule. Er konnte sich nicht mal im Bett umlegen. Etwa drei Monate vor seinem Tod schrieb er in einem Aufsatz für eine Zeitung: “Bis jetzt verstand ich Satori im Zen falsch. Ich nahm irrtümlicherweise an, Satori sei, mit Seelenfrieden in jedem Zustand zu sterben. Satori heißt, mit Seelenfrieden in jedem Zustand zu leben.”

Ich denke, das ist der Unterschied zwischen dem Verständnis des obersten Mönchs und Longya. In Shobogenzo Shoji (oder “Leben und Tod”), meinte Dogen: “Verstehe einfach, dass Leben und Tod selbst Nirwana ist, und hege weder Abneigung gegen Leben und Tod, noch begehre Nirwana. Nur dann wird es uns möglich sein, von Leben und Tod erlöst zu werden . . . Dieses gegenwärtige Leben und Tod ist das Leben des Buddha.”

© 2014 Shohaku Okumura. All rights reserved

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